Im Zuge der Diskussion über den anthropogen bedingten Klimawandel steigt auch die Nachfrage nach sehr langen und möglichst homogenen Instrumentenmessreihen. Vor allem Daten mit täglicher oder noch höherer zeitlicher Auflösung aus den Frühzeiten der meteorologischen Messungen, d. h. vor Einrichtung staatlich organisierter Messnetze (in Baden 1868/69) sind hier sehr hilfreich, um Fragen über Extreme oder zeitliche Variabilitäten der Klimaparameter besser beantworten zu können.
Eine solche Reihe stellt die Karlsruher Klimareihe dar. Sie liegt in digitaler, aber nicht homogenisierter Form auf Klimaterminbasis (3 Haupttermine pro Tag) im Nationalen Klimadatenarchiv des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ab dem 01.01.1876 zur freien Nutzung online vor und endet am 30.10.2008 mit der Verlegung der Station nach Rheinstetten (ca. 10 km in südwestlicher Richtung). Zusammen mit wenigen anderen Reihen bildet die Karlsruher Reihe eine der längsten nahezu unterbrechungsfreien Zeitreihen auf Klimaterminbasis.
Tatsächlich aber reicht die Klimareihe mit den ersten regelmäßigen meteorologischen Aufzeichnungen durch Johann Lorenz Böckmann, Professor am Gymnasium in Karlsruhe, bis ins 18. Jahrhundert zurück. Diese Aufzeichnungen sind mit Lücken vor 1800 nahezu vollständig überliefert und liegen in den Handschriftenabteilungen der Universitätsbibliotheken Karlsruhe und Heidelberg, dem Stadtarchiv Mannheim sowie dem Papierarchiv des DWD in Offenbach teilweise in Zweitabschrift und als Parallelbeobachtung sowie in Auszügen in der Karlsruher Zeitung vor.
Die Nachdigitalisierung der Aufzeichnungen bis 1876 sowie der Parallelbeobachtungen Karlsruhe-Hochschule und Karlsruhe-Flugplatz 1937-1944/45 und somit die Verlängerung der Messreihe auf einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren wurde nun im Rahmen des Projekts Klimareihe Karlsruhe von mehreren Wissenschaftlern durchgeführt. Die weitere Aufbereitung vor allem der Temperatur- und Niederschlagsdaten gewährt bisher weitgehend unbekannte Einblicke in das Klima der Region Karlsruhe und am nördlichen Oberrhein im 19. Jahrhundert und erlaubt die Verlängerung statistischer Auswertungen um etwa 100 Jahre. Aus den zu den 3 Hauptterminen pro Tag vorliegenden Temperaturwerten werden unter anderem durch Vergleich mit in einem Zeitraum von etwa 13 Jahren vorhandenen Tiefst- und Höchsttemperaturen tägliche Minima und Maxima für den gesamten Zeitraum bestimmt (siehe Abb. 1). In einem zweiten Schritt lassen sich daraus beispielsweise Rückschlüsse auf die Anzahl der Frost- und Hitzetage ziehen und deren Trends in die seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Zuge des Klimawandels verstärkt beobachteten Ab- bzw. Zunahmen einordnen (Abb. 2). Auch sind so Aussagen zur Variabilität des Wetters und deren Veränderlichkeit, beispielsweise hinsichtlich der Andauer von Kälte- und Hitzewellen, möglich. Des Weiteren können signifikante Niederschlagsereignisse identifiziert (Abb. 3) und bereits bekannte klimatologische Extreme wie das „Jahr ohne Sommer“ (1816) hinsichtlich lokaler Verhältnisse detailliert untersucht werden.
Abb. 1: Dekadenrekorde der Tiefst- und Höchsttemperatur im Zeitraum 1778-1875.
Abb.2: Anzahl Hitzetage (Höchsttemperatur >= 30,0°C) in Karlsruhe mit dem
gleitenden 11-jährigen Mittel und linearem Trend im Zeitraum 1800-2011.
Abb. 3: Jährliche Niederschlagsmengen in Karlsruhe im Zeitraum 1801-1822.