Hagelhäufigkeit in Deutschland: Regionale Trends der letzten 20 Jahre

3D-Radarbasierte Hagelzugbahnen enthüllen regionalspezifische Trends der letzten 20 Jahre in Deutschland.

Obwohl schadenträchtige Hagelereignisse verhältnismäßig selten auftreten, machen gerade diese einen großen Anteil der versicherten Gesamtschäden aus (SwissRe, 2024). So gibt es Einzelereignisse wie das Hagelunwetter von Reutlingen am 28.07.2013, bei dem Hagel von bis zu 10 cm Schäden von über einer Milliarde Euro verursachte (Kunz, 2017; SwissRe, 2015). Aber auch weniger bekannte Hagelereignisse mit kleineren Hagelkörnern verursachen immer wieder große Schäden, unter anderem an Hausfassaden und Dächern, Photovoltaikanlagen, Autos sowie landwirtschaftlich genutzten Flächen. In der Gesamtsumme der versicherten Schäden durch Hagelereignisse ist über die letzten Jahre sowohl global als auch über Europa ein Anstieg zu erkennen (SwissRe, 2024). Dieser kann jedoch nicht zwangsläufig auf eine Intensivierung der Hagelereignisse in den letzten Jahren zurückgeführt werden, da nicht nur meteorologische Ursachen, sondern auch eine Zunahme der versicherten Werte den Trend beeinflussen können.

Aufgrund der hohen Schadensumme einzelner Hagelereignisse ist es wichtig, die Auswirkungen des Klimawandels auf Hagelereignisse zu untersuchen. Eine statistische Auswertung der zeitlichen Entwicklung direkter Hagelbeobachtungen in Deutschland (und auch in anderen Ländern weltweit) ist jedoch mangels eines homogenen Datensatzes nicht möglich. Dies liegt daran, dass Hagel in Gewitterwolken gebildet wird, welche aufgrund ihrer starken Aufwinde und ihres verfügbaren unterkühlten Wassers zwar die Hagelbildung erst ermöglichen, jedoch horizontal in der Regel eine Ausdehnung von wenigen Kilometern aufweisen. Dadurch ist Hagel mit den gewöhnlichen meteorologischen Beobachtungsnetzen schwer zu erfassen. Im Projekt HailClim des BMBF-geförderten Verbundprojektes ClimXtreme (Phase 2) werden als Datengrundlage daher potentielle Hagelzugbahnen verwendet, welche aus den 3D-Radardaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) abgeleitet wurden. Dabei wird in einem ersten Schritt im Radarsignal nach Regionen mit hoher Reflektivität gesucht und anschließend zu Hagelzugbahnen verbunden (Handwerker, 2002; Schmidberger, 2018).

Abbildung 1: Mittlere jährliche Anzahl potentieller Hagelzugbahnen in Deutschland (2005 – 2024, Sommerhalbjahr; basierend auf 3D-Radardaten des DWD mit Hilfe des Zellverfolgungsalgorithmus TRACE3D; Schmidberger, 2018).

Bei Betrachtung aller auf diese Art und Weise bestimmten Ereignisse in den letzten 20 Sommerhalbjahren (April bis September, 2005 – 2024) fällt auf, dass grundsätzlich alle Regionen Deutschlands von Hagel betroffen sein können. Es zeigen sich jedoch deutlich einzelne Hotspot-Regionen, in denen Hagelereignisse wahrscheinlicher sind als anderswo (Abb. 1). Insbesondere im Süden Deutschlands liegen Maxima der Hagelhäufigkeit: Beispielsweise kommt es durch Umströmungs- und Überströmungseffekte des Schwarzwaldes und daraus resultierenden Konvergenzen auf der Schwäbischen Alb und im Neckartal vermehrt zur Bildung hochreichender Konvektion mit Hagel (Siegmann, 2022). Auch das bayerische Voralpenland und Teile Hessens weisen eine erhöhte Hagelhäufigkeit auf.

Abbildung 2: Entwicklung der jährlichen Anzahl potentieller Hagelzugbahnen in Deutschland in Abhängigkeit verschiedener Zugbahnlängen.

Im Zeitraum von 2005 bis 2024 hat sich die Gesamtzahl der jährlichen Hagelzugbahnen in Deutschland nicht signifikant verändert (Abb. 2). Von Jahr zu Jahr treten Schwankungen auf, jedoch ist über die 20 Jahre keine statistisch signifikante Ab- oder Zunahme zu beobachten. Dies gilt sowohl für die Betrachtung aller Zugbahnen als auch für die Fokussierung auf längere Zugbahnen. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch bei einer räumlichen Aufschlüsselung der Zeitreihen. Wird die zeitliche Entwicklung in Abbildung 3 für Deutschland in 25 km x 25 km Gitterzellen betrachtet, ergeben sich regionale Trends: Über weiten Teilen von Nord- und Mitteldeutschland sind negative Trends zu beobachten, welche insbesondere im westlichen Teil auch über einem größeren Gebiet signifikant sind. Nur in Süddeutschland, vornehmlich an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern, gibt es eine signifikante Zunahme der Hagelereignisse. Diese gegenläufigen regionalen Trends führen dazu, dass sich die Entwicklungen auf gesamtdeutscher Ebene in Abbildung 2 weitgehend ausgleichen. Die gleiche räumliche Verteilung der Trends ergibt sich auch bei Betrachtung der Zugbahnen mit einer Mindestlänge von 50 km (Abb. 3b).

Abbildung 3: (A) Räumlich aufgelöste Entwicklung aller potentieller Hagelzugbahnen (dekadischer Trend pro 25 x 25 km²) und (B) aller Zugbahnen mit einer Mindestlänge von 50 km (2005 – 2024, Sommerhalbjahr).

Die Ergebnisse der über großen Teilen Deutschlands abnehmenden Hagelhäufigkeit sind durchaus überraschend. Nach der Theorie kann eine wärmere Atmosphäre gemäß der Clausius-Clapeyron Gleichung mehr Wasserdampf aufnehmen. Dies führt dazu, dass mehr Energie für die Gewitter- und Hagelbildung verfügbar ist. Neben diesen thermodynamischen Prozessen spielen aber auch dynamische Prozesse und Mechanismen in der Atmosphäre (z.B. Veränderungen in der großräumigen Strömung) eine Rolle. So zeigen erste Ergebnisse, dass Telekonnektionsmuster (Prozesse mit großräumigen klimatischen Wechselwirkungen) erste Erklärungsansätze für eine veränderte Hagelhäufigkeit inklusive ihrer jährlichen Variabilität liefern, indem sie die hagelfördernden Umgebungsbedingungen verändern.

Referenzen:

Handwerker, J. (2002): Cell tracking with TRACE3D – A new algorithm. Atmos. Res. 31, 15–34, doi: https://doi.org/10.1016/S0169-8095(01)00100-4.

Kunz, M., U. Blahak, J. Handwerker, M. Schmidberger, H.J. Punge, S. Mohr, E. Fluck, K.M. Bedka (2017): The severe hailstorm in southwest Germany on 28 July 2013: characteristics, impacts and meteorological conditions. Quart. J. Roy. Meteor. Soc. 144, 231–250, doi: https://doi.org/10.1002/qj.3197.

Schmidberger, M., 2018: Hagelgefährdung und Hagelrisiko in Deutschland basierend auf einer Kombination von Radardaten und Versicherungsdaten. Wissenschaftliche Berichte des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), 78, KIT Scientific Publishing, Karlsruhe, Germany, doi: https://doi.org/10.5445/KSP/1000086012.

Siegmann, F., 2022: Spatial and temporal variability of low-level convergence zones triggering deep moist convection in south-western Germany. Masterarbeit, Instituts für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Instituts für Technologie Karlsruhe, Germany: https://www.imk-tro.kit.edu/5734_11619.php

SwissRe, 2015: Sigma – Natural catastrophes and man-made disasters in 2014: convective and winter storms generate most losses. Technical report, Swiss Reinsurance Company Ltd, Zurich, Switzerland. https://www.swissre.com/institute/research/sigma-research/sigma-2015-02.html.

SwissRe, 2024: Sigma – Natural catastrophes in 2023: gearing up for today’s and tomorrow’s weather risks. Technical report, Swiss Reinsurance Company Ltd, Zurich, Switzerland https://www.swissre.com/institute/research/sigma-research/sigma-2024-01.html.

Arbeitsgruppe: Atmosphärische Risiken
Autor: Mathis Tonn (Januar 2025)