Sind Langfristwettervorhersagen nach schwachem Polarwirbel wirklich so gut wie bisher angenommen?
Abb. 1: Durchschnittlich vorhergesagte monatliche Temperatur-Anomalie nach extrem schwachem Polarwirbel. Siehe Büeler et al. (2020) für weitere Details |
Mit dem baldigen Einzug des Winters häufen sich wieder Medienbeiträge, in denen Meteorologen über die mögliche Rolle des sogenannten Polarwirbels in der nordhemisphärischen Stratosphäre spekulieren. Basierend darauf werden Prognosen abgegeben, ob es in den kommenden Monaten, ja sogar den gesamten Winter, bei uns in Mitteleuropa eher mild und schneearm wird, oder ob es vielleicht doch zu Kälteausbrüchen mit großen Schneemengen kommt.
Auch wenn derartige Prognosen auf den ersten Blick verrückt erscheinen mögen, macht es durchaus Sinn, sich die Prognosen zur Entwicklung dieses Polarwirbels (ein sich im Winter bildendes, bei 60 Grad Nord durch die untere und mittlere Stratosphäre in 10 – 50 km Höhe ziehendes, mächtiges Westwindband) genauer anzuschauen. Denn die Wissenschaft ist sich seit einigen Jahren einig, dass der Polarwirbel im Winter eine der wichtigsten Quellen für Vorhersagbarkeit von europäischem Wetter auf subsaisonalen Zeitskalen (15 – 60 Tage in die Zukunft) darstellt. Das liegt daran, dass der Polarwirbel direkt an die obere Troposphäre (bis 10 km Höhe) und den dortigen Jetstream gekoppelt ist, welcher das Wettergeschehen bei uns dominiert. Speziell im Spätwinter kann sich der Polarwirbel sprunghaft abschwächen, was "plötzliche Stratosphärenerwärmung" genannt wird. Diese Abschwächung führt zu stärkerem Mäandrieren des Jetstreams, was zu länger anhaltenden Ausbrüchen arktischer Kälte Richtung Europa oder Nordamerika führen kann. Im Gegensatz dazu führt ein speziell starker Polarwirbel dazu, dass auch der Jetstream stark und zonal ausgerichtet ist, was eher zu langanhaltendem milderem Wetter bei uns führt.
Um dieses große Potenzial für subsaisonale Vorhersagbarkeit auszuschöpfen, ist es wichtig, dass der Polarwirbel und seine Interaktion mit der Troposphäre in numerischen Wettermodellen richtig abgebildet sind. Während in bisherigen Studien oft die erhöhte großskalige Vorhersagbarkeit nach plötzlichen Stratosphärenerwärmungen untersucht und betont wurde, kommt eine neue Studie aus unserer Gruppe in Zusammenarbeit mit der Schweizer Energiefirma Axpo Solutions [1] zum Schluss, dass die subsaisonalen Vorhersagen für Wetter in Europa in solchen Situationen gar nicht so verlässlich sind wie bisher angenommen. Stattdessen ist eine gute Vorhersagbarkeit in Phasen eines speziell starken Polarwirbels viel eher gegeben. Konkret hat die Studie untersucht, wie gut das subsaisonale Wettermodell des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) ländergemittelte Temperaturen in Europa für die nächsten 4 Wochen vorhersagen kann, jeweils in Abhängigkeit des Zustandes des Polarwirbels zu Beginn der Vorhersage. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Modell nach einem speziell schwachen Polarwirbel im Schnitt zu kalte Temperaturen vor allem über Zentral- und Südeuropa vorhersagt. Das führt dazu, dass die Vorhersagegüte des Modells für einige Länder (wie z.B. Spanien, Frankreich oder Rumänien) sogar schlechter ist als üblich (siehe dunkelblau gefüllte Boxen im Vergleich zu dunkelblauen schmalen Boxen in Abb. 1). Im Gegensatz dazu zeigte sich, dass das Modell nach einem speziell starken Polarwirbel die warmen Anomalien über einem Großteil Europas (außer Skandinavien) erstaunlich gut vorhersagt und dadurch die Vorhersagegüte für viele Länder Europas (wie z.B. Deutschland, Spanien und Frankreich) im Vergleich zum Normalzustand signifikant erhöht (siehe dunkelrot gefüllte Boxen im Vergleich zu dunkelroten schmalen Boxen in Abb. 1). Diese neuen Erkenntnisse sind überraschend und wichtig, da sie die oft betonte erhöhte sub-saisonale Vorhersagbarkeit nach plötzlichen Stratosphärenerwärmungen zumindest aus regionaler Sicht in Frage stellen. Gleichzeitig zeigen sie, dass man den langfristigen regionalen Temperaturvorhersagen nach einem speziell starken Polarwirbel viel mehr vertrauen kann, was bisher vernachlässigt wurde. So zeigt sich zum Beispiel für Frankreich und Spanien eine erstaunlich hohe Vorhersagegüte für die Temperatur bis vier Wochen in die Zukunft, was beeindruckend und faszinierend ist.
Die verschlechterte Vorhersagegüte für einige Regionen nach einem speziell schwachen Polarwirbel deutet stark darauf hin, dass das Modell möglicherweise Probleme hat, in diesen Situationen die großskalige Strömung, sogenannte Wetterregime, richtig vorherzusagen. Tatsächlich zeigen weitere neue Erkenntnisse aus unserer Gruppe, dass die subsaisonale Vorhersagegüte für Wetterregime über Europa nach einem schwachen Polarwirbel signifikant schlechter ist als nach einem starken Polarwirbel. Ob dies damit zusammenhängt, dass eines der sehr unterschiedlichen Wetterregime, die nach plötzlichen Stratosphärenerwärmungen klimatologisch gesehen auftreten [2,3], dem Modell Probleme bereitet, ist Inhalt unserer aktuellen Forschung.
Dominik Büeler, Gruppe Großräumige Dynamik und Vorhersagbarkeit (http://www.imk-tro.kit.edu/7425.php)
[1] Büeler, D., Beerli, R., Wernli, H., and Grams, C. M., 2020: Stratospheric influence on ECMWF sub-seasonal forecast skill for energy-industry-relevant surface weather in European countries. Q. J. R. Meteorol. Soc., https://doi.org/10.1002/qj.3866
[2] Beerli, R., and Grams, C. M., 2019: Stratospheric modulation of the large-scale circulation in the Atlantic-European region and its implications for surface weather events. Q. J. R. Meteorol. Soc., 145, 3732–3750, https://doi.org/10.1002/qj.3653
[3] Domeisen, D. I. V., Grams, C. M., and Papritz, L., 2020: The role of North Atlantic-European weather regimes in the surface impact of sudden stratospheric warming events. Weather Clim. Dynam., 1, 373–388, https://doi.org/10.5194/wcd-2019-16
Abb. 2: Vorhersagegüte (RPSS) des sub-saisonalen Wettermodells des EZMW für ländergemittelte, Temperatur-Monatsvorhersagen im Winter (DJF) in Abhängigkeit der Stärke des Polarwirbels zu Beginn der Vorhersage. Die grauen Boxen zeigen die Vorhersagegüte aller Wintervorhersagen, unabhängig des Polarwirbels, während die farbigen ausgefüllten Boxen die Vorhersagegüte der Vorhersagen startend mit den 2% stärksten (dunkelrot), 10% stärksten (hellrot), 10% schwächsten (hellblau) und 2% schwächsten (dunkelblau) Polarwirbel-Zuständen zeigen. Die schmalen Boxen zeigen die zugehörige Vorhersagegüte für ein zufällig gewähltes, vom Polarwirbel unabhängiges Vorhersageset der gleichen Größe. Der Grad des Überlapps dieser beiden RPSS-Verteilungen zeigt folglich die Signifikanz der Unterschiede der Vorhersagegüte an, welche mit der Anzahl Sterne angegeben ist. Siehe Büeler et al. (2020) für weitere Details.