Welchen Einfluss haben großräumige Prozesse auf die lokale Gewitteraktivität?

Schwere Gewitter mit extremen Wetterscheinungen wie starken Niederschlägen, Hagel und schweren Sturmböen zeigen in Deutschland und Europa eine hohe zeitliche und räumliche Variabilität. Diese hohe Variabilität und das mangelnde Verständnis über die Ursachen dieser Schwankungen erschweren allerdings Abschätzungen der zukünftigen Entwicklung konvektiver Phänomene – insbesondere im Kontext des Klimawandels. Obwohl Gewitter in der Regel lokale Ereignisse sind, werden die konvektiven Umgebungsbedingungen, die für das Auftreten von Gewittern relevant sind, durch großräumige Prozesse in der Atmosphäre gesteuert. Im Rahmen des Projekts Langzeitliche Variabilität und serielles Clustering von schweren Gewittern in einem sich verändernden Klima (VarCluST) in der Arbeitsgruppe „Atmosphärische Risiken“ (Teilprojekt im BMBF-Verbundprojekts ClimXtreme, Climate Change and Extreme Events), wird der Frage nachgegangen, welche großräumigen atmosphärischen Prozesse und Mechanismen eine wesentliche Rolle bei der Gewitterwahrscheinlichkeit spielen und welchen Änderungen in der Zukunft zu erwarten sind.

Abbildung 1: (a) Klimatologie (mittlere jährliche Anzahl) der Gewittertage (Definition siehe Text) von 2001 bis 2019 (Mai bis August). (b) Zugehöriger relativer Trend der Gewittertage pro Dekade. Statistische Signifikanz wird durch schwarze Punkte repräsentiert.
 

Mithilfe von Blitzsensoren erfolgt die Erfassung von Wolke-Boden-Blitzen zeitlich und räumlich homogen (z.B. EUCLID; Schulz et al., 2016). Basierend auf diesen Blitzdaten (2001–2019) wird ein Gewittertag definiert, wenn innerhalb einer Fläche von 10 × 10 km2 mehr als 5 Blitze innerhalb eines Tags registriert werden (Piper & Kunz, 2017). Die räumliche Verteilung der Gewittertage zeigt einen positiven Gradienten der Anzahl der Gewittertage ausgehend von den Küstenregionen ins Landesinnere (Abb. 1a). Diese Zunahme kann auf die klimatologische Verteilung der atmosphärischen Stabilität, welche eine wichtige Voraussetzung zur Gewitterbildung ist, zurückgeführt werden (Mohr & Kunz, 2013). Die Trendanalyse zeigt eine zum Teil signifikante Abnahme von Gewittertagen in einem Gebiet vom südlichen Frankreich, dem Zentralmassiv, den Vogesen bis nach Deutschland in die Eifel (Abb. 1b). Im Gegensatz dazu wird in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ein kleines Gebiet mit signifikanter Zunahme der Gewittertage beobachtet. Die Beobachtung der Abnahme der Gewitterhäufigkeit in Teilen West-, Mittel- und Südeuropas basierend auf Blitzdaten ist neu, da bisher keine ausreichend langen Zeiträume der Messdaten zur Verfügung standen. Trendanalysen, die auf gewitterrelevante Größen (Proxys) in Reanalysedaten basieren (z.B. Stabilität, Feuchtigkeit), zeigten dagegen einen überwiegend positiven Trend (z.B. Mohr & Kunz, 2013; Taszarek et al., 2021). 

Abbildung 2: Statistischer Zusammenhang zwischen negativen NAO-Index Werten (jährlicher Mittelwert pro Sommerhalbjahr) und der jährlichen Anzahl der Gewittertage (2001 bis 2019,  Mai bis August; basierend auf Odds-Ratio bzw. Yules Q; letzteres transformiert das Odds-Ratio zur besserer Interpretation von der Skala [0, ∞) auf die Skala [–1,1]). Statistische Signifikanz wird durch schwarze Punkte repräsentiert. Weitere Details siehe Text. 

In einem zweiten Schritt wurde untersucht, ob bestimmte Telekonnektionen wie beispielsweise die Nordatlantische Oszillation (NAO) einen Einfluss auf die Gewitterhäufigkeit in dem Untersuchungsgebiet haben. Der NAO Index gibt die normalisierte Differenz des Luftdrucks zwischen Islandtief und Azorenhoch an. Abbildung 2 zeigt den statistischen Zusammenhang zwischen dem NAO-Index und der Gewitteraktivität an; Negative Werte spiegeln Gebiete wider, in denen es während Jahren mit negativen NAO-Werten zu einer Abnahme in der Gewitterwahrscheinlichkeit gekommen ist; positive Werte dagegen repräsentieren Gebiete, in denen eine Zunahme der Gewitterwahrscheinlichkeit bei negativen NAO-Werten erfolgte. Interessant ist, dass Gebiete mit signifikant negativen Werten des Zusammenhangs Gewitterwahrscheinlichkeit und NAO in Abbildung 2 in großen Teilen mit den Gebieten mit negativen Trends in den Gewittertagen (Abb. 1b) übereinstimmen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Sommerhalbjahre mit bevorzugt negativen NAO-Anomalien in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums häufiger geworden sind und diese die Abnahme erklären könnten. 

Referenzen:

Mohr, S., Kunz, M. (2013): Recent trends and variabilities of convective parameters relevant for hail events in Germany and Europe. Atmos. Res., 123, 211-228, doi:10.1016/j.atmosres.2012.05.016.

Piper, D., Kunz, M. (2017):. Spatiotemporal variability of lightning activity in Europe and the relation to the North Atlantic Oscillation teleconnection pattern. Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 17, 1319-1336, doi:10.5194/nhess-17-1319-2017.

Taszarek, M., Allen, J. T., Marchio, M., & Brooks, H. E. (2021): Global climatology and trends in convective environments from ERA5 and rawinsonde data. NPJ Clim. Atmos. Sci., 4(1),1-11, doi: 10.1038/s41612-021-00190-x.

Schulz, W., Diendorfer, G., Pedeboy, S., Poelman, D. R. (2016): The European lightning location system EUCLID – Part 1: Performance analysis and validation, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 16, 595–605, doi:10.5194/nhess-16-595-2016.

[Arbeitsgruppe: Atmosphärische Risiken]
Autor:
Markus Augenstein (September 2022)